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Heinz Kahlau
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Meine Hoffnung


In deinem Alter, mein Kind,
hat jeder Mensch noch Gründe,
anzunehmen,
er könnte
fliegen wie laufen
lernen.

Ich werde mich hüten,
dich aufzuklären.

Vielleicht
bin doch ich es,
der sich irrt.


Hinweis: Dieses Gedicht sowie das weiter unten aufgeführte Gedicht werden hier im Rahmen eines selbständigen Sprachwerks zitiert (§ 51 UrhG).  Weitere Infos




Antonius Reyntjes

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Aus dem Deutschunterricht geplaudert


Kahlau ist ein Lieblingspoet von mir und "Meine Hoffnung" eines meiner Lieblingsgedichte. Zum ersten Mal erprobte ich diesen Text in der zweiten Stunde an einer neuen Schule, in einer neuen Klasse Stufe 7. (Als Lehrer hat man ja so viele Möglichkeiten, ein Büchlein rauszuziehen – und die Leutchen in der Klasse zu verwundern, wenn man nicht die deutschen, klassischen Balladen z.B. als Strafe zum Auswendiglernen verschwendet.)

Also: Ich las vor; ließ den Titel erst fort; dann diktierte ich den Text, ohne die Verszeilen im Umbruch anzugeben, und ließ auch an der Tafel mitschreiben. Das Wunder des "Fliegens" wurde sofort als Bild erfasst und in vielen Einzelaussagen interpretiert: "Das ist, wenn man über sich selbst hinauskommt." - "Das meint: Wenn wir Phantasie anwenden!" - "Und Neues ausdenken." - "Ja, 'n bisschen mehr als die, die alles von uns erzwingen wollen." - "Und was wir erfinden." "Oder selber basteln, was wir vorher nicht kannten oder ahnten." - "Das ist, wenn es uns gelingt, mehr zu erreichen, als wir vorher gewusst haben." - "Ja, wenn wir auf was hoffen." - "Oder drauf vertrauen." "Und nicht miesepetrig rumgurken." "Ja, wie Krüger!" [Alles lachte! Ich aber kannte den Kollegen noch nicht!] - "Ja: positiv von uns denken." - "Und von anderen...!" (Ich hätte gerne in der Stunde Protokoll geführt...).

Später, um das Gedicht zu verdeutlichen – haben wir die gedanklichen Absätze bestimmt; es gelang so, wie in der originalen Schreibfassung; nur die meisten Schüler hätten lieber zwei statt drei Strophen "gesetzt".

Am nächsten Tag brachte ich Albert Cullums schönes Insel-Bilderbuch mit: "Die Geranie auf der Fensterbank ist eben gestorben, aber Sie reden einfach weiter, Fräulein Schmitt". Ich las vor:

Albert Cullum

Der Vogel hat gesungen

Der Vogel hat gesungen.
Die Glocke hat geläutet.
Die Geranie
auf der Fensterbank
ist soeben gestorben.
Aber Sie
reden einfach weiter,
Fräulein Schmitt.

Der Schulalltag ist Thema; das brauche ich nicht anzukündigen: Was Schülerinnen und Schüler erleben als Widerspruch zwischen Weisheit, Werten und Bewertungen der Lehrer – und ihren eigenen Erfahrungen: wenn sie hinkucken, wenn sie vergleichen zwischen dem Hehren, dem Herrschaftlichen - und ihrer Realität.

Als es geschellt hatte und die Stoffsammlung weiterging - da sagte einer: "Es hat noch nicht geschellt, Herr Reyntjes!" – Alle lachten!

Zwei Jahr später erfuhr ich, durch einen Anruf, wie attraktiv dieses Gedicht war: Bei einem landesweiten Gedichte-Wettbewerb für Schüler hatte ein etwas pfiffig-eigenwillig-kreativer Schüler diesen Text als eigenes Produkt eingesandt; er hatte das Gedicht auf dem Schreibtisch seiner Schwester, einer Schülerin von mir, gefunden – und "juchhu!" gejubelt: "Dat Ding find ich klasse"!

Er wurde nach D. eingeladen, als Gewinner. Die Schwester, der er es gebeichtet hatte, war mitgefahren. Sie rief mich aus dem Saal an: "Hilfe! Preisträger ist mein Bruder J.! Der soll den ersten Preis kriegen! Helfen Sie mir? So ein Quatsch!".

Ich hätte da gerne den Versammelten - der Kultusministerin, den Juroren, den Politikern - aus dem Bilderbuch von Cullum vorgelesen. - Der Schwester riet ich: Nix verraten! - Da warten wir, bis es auffällt.. Meldet euch heute Abend, wenn ihr wieder in R. seid! Dann überlegen wir -"

(Übrigens ging die Story so aus: Noch abends konnte durch einen Anruf bei einem Min.-Beamten, dessen Telefonnr. die Schwester vom "Poeto-Klauer" mitgenommen hatte, geklärt werden, was "Krummes" da passiert war. Es wurden sogar die Unterlagen für die Presse, die am nächsten Tag rausgehen sollten, geändert: Der gepfuschte Text und sein "Preisträger" wurden verschwiegen; Sieger Nr. "Zwei" - ein Mädchen - bekam den "ersten" Preis, nachträglich. Die ersten Nachrichten über die Vergabe verhallten; es galt das "Schriftliche" für die Presse und die Nachwelt und die gedruckte Übersicht. Der Schüler versprach, nie wieder zu "ver-dichten". Auch in der Schule wurde es nur bekannt, weil er selber einige Monate später, vor den Sommerferien, darüber quatschte!).



Die besprochenen Gedichte entstammen den folgenden Bänden:
Heinz Kahlau: Lob des Sisyphus; Reclam Verlag Leipzig, 1985, S.68, sowie  Albert Cullum: Die Geranie auf der Fensterbank ist eben gestorben, aber Sie reden einfach weiter, Fräulein Schmitt; deutsche Übersetzung von Elisabeth Borchers; Insel Verlag Frankfurt/M., 1972, S.58.

Die Verfasser der Gedichte: Heinz Kahlau ist Jahrgang 1931 und einer der bekanntesten deutschsprachigen Autoren der Gegenwart (weitere biographische Details beim DHM oder bei Wikipedia). Albert Cullum dagegen war ein amerikanischer Lehrer, über dessen ungewöhnliche Erziehungsmethoden sogar ein Film gedreht wurde.

Der Rezensent Antonius Reyntjes (geb. 1944) wurde nach dem Abitur Buchhändler, dann Student, Lehrer am Gymnasium mit den Fächern Deutsch und Erziehungswissenschaft; nach der Pensionierung Fachschreiber für Religions- und Deutsch-Zeitschriften und Gelegenheitsautor. Er arbeit mit an Schüler-Foren wie biblioforum.de oder schoolwork.de.



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