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Matthias Buth
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Smartphone

Ich habe es vergraben

Tief hinab ins Erdinnere
Dort wo es mich nicht mehr finden kann
Wo wir endlich getrennt sind

Und kein Teilen mir Nachrichten zufächelt
Die ich nicht wissen will und die mich nicht meinen
Die fremd sind wie der Mond

Nun bin ich wieder ganz bei mir
Und wir können uns finden
Wohl unter Linden

Ach der Duft betäubt und bestäubt
Und nimmt mit auf die andere Seite
Wo die Netzhaut zärtlicher ist als Wind



Hinweis: Dieses Gedicht wird hier im Rahmen eines selbständigen Sprachwerks zitiert (§ 51 UrhG).  Weitere Infos




Jürgen Egner

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Die Tat


Am Anfang steht die Tat! Wie Goethes Faust, der Protagonist des Suchenden, erkennt, dass nicht das Wort, nicht die Erkenntnis, nicht allein die Kraft ausreichen, notwendige Entscheidungen und Veränderungen zu bewirken, sondern allein die entschlossene Tat. Wie Schiller seinen Tatmenschen Wallenstein sagen lässt: "Wärs möglich? Könnt ich nicht mehr wie ich wollte? Nicht mehr zurück, wie mir's beliebt? ...nur Gewalttat kann es reißend lösen."

"Ich habe es vergraben" - abgesetzt als Einzelzeile, die einzige des Gedichtes, wird die "Tat" auch formal hervorgehoben. Das "Ich" steht am Anfang, ist Subjekt, auch handelndes Subjekt, das Smartphone ist zum Objekt geworden.

Das war einmal anders. Früher hat dieses Medium aktiv in das Leben des lyrischen Ichs eingegriffen, hat ihn gefunden. Jetzt ist die notwendige Trennung, eine Scheidung, ja ein Begräbnis endgültig geschafft. Weshalb ist diese "Beerdigung" notwendig geworden? Weshalb muss es ein so tiefer Einschnitt bis "ins Erdinnere" sein?

Das lyrische Ich fühlte sich durch die permanenten Mitteilungen und unpersönlichen Nachrichten sich selbst entfremdet. Kein Wunder. Man braucht sich nur auf den Straßen und Plätzen, in Bus oder Bahn, in Wartezimmern, ja selbst bei Veranstaltungen umzusehen, um zu erkennen, wie unsere Zeitgenossen an ihren Smartphones hängen wie Süchtige. Ja keine Nachricht oder Mitteilung verpassen. Schüler nehmen heutzutage jede Strafe auf sich – nur nicht die Wegnahme ihres Smartphones!

Der Autor hat sich davon abgenabelt. Er schreibt nicht MEIN Smartphone als Überschrift, sondern verallgemeinernd. Das unterstreicht die Allgemeingültigkeit, aber auch die erreichte Distanz. Jetzt, nach der befreienden Rettungstat, hat der Mensch wieder zu sich selbst gefunden. Doch wie sieht die Rettung aus?

"Und wir können uns finden" heißt es. Er nimmt Kontakt zu einem anderen Menschen wieder auf. Mit dem Bezug zu dem Volkslied "Kein schöner Land" ist die Rückbesinnung auf schönere Tage angesprochen. Die Linde als Inbegriff für Natur, Geselligkeit ("... tanzt um die Linde herum" heißt es in einem anderen Volkslied), für Idylle, dörflichen Mittelpunkt, aber eben auch für intensiven Blütenduft und Heilkraft. Alles dies kann das lyrische Ich jetzt wieder wahrnehmen und genießen. Jetzt kann er wieder frei atmen, die Geister, die er rief, ist er endlich los, wie man frei nach Goethe sagen möchte.

Die Rückkehr und Rückbesinnung zum natürlichen Leben stellt nicht nur einen Rückzug auf das Wesentliche dar, sondern "bestäubt", wie der Autor es ausdrückt. Ein fruchtbares Dasein ist nur möglich, wenn man sich von den Fesseln der modernen Kommunikationsindustrie befreit! Dann kommt auch das Menschliche wieder zum Vorschein, das Schöne, das man sehen kann. Und eben nicht nur das Flüchtige – wie der Wind - , was einem ein Smartphone kurz "zufächelt".



Der Verfasser des Gedichts ist Matthias Buth.

Das besprochene Gedicht erschien in seinem Gedichtband "Paris regnet - Neue Gedichte" (edition offenes feld, 2016)

Der Rezensent Jürgen Egner ist Lehrer.



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